Migrationspakt: Was bringt die neue EU-Asylpolitik? – DW – 10.04.2024 (2024)

Nach acht Jahren zäher Verhandlungen mit den 27 Mitgliedstaaten hat das Europaparlament eine grundlegende Reform der Asylverfahren in der EU beschlossen. Der sogenannte Migrationspakt, der aus acht Gesetzen besteht, soll vor allem die Zahlen der Neuankömmlinge senken, Asylverfahren beschleunigen und an die Außengrenzen verlagern. Die Zahl der Asylanträge lag im vergangenen Jahr nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat bei 1,14 Millionen. Sie steigt seit vier Jahren stetig an. Zusätzlich wurden seit 2022 etwa vier Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in der EU untergebracht.

Wie sollen die Asylverfahren an den Außengrenzen ablaufen?

Asylsuchende und Flüchtlinge sollen bei ihrer Ankunft auf dem Land-, See- oder Luftweg innerhalb von sieben Tagen eindeutig identifiziert und in der erweiterten biometrischen "Eurodac"-Datei registriert werden.

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Migranten aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent sollen an der Grenze bis zu zwölfWochen festgehalten werden. In diesen Lagern, die in Griechenland, Italien, Malta, Spanien, Kroatien und Zypern errichtet werden müssen, soll entschieden werden, wer ohne weitere Prüfung in sein Heimatland zurückgeschickt wird. Dies betrifft nur eine Minderheit der Ankommenden. Die Kapazität dieser Lager soll EU-weit 30.000 Plätze betragen.

Migrantenaus Staaten mit einer höheren Anerkennungsquote kommen in dasnormale Asylverfahren. Diese Verfahren, die heute Jahre dauern können, sollen verkürzt werden.Abgelehnte Asylbewerber sollen direkt von den Außengrenzen abgeschoben werden.

Wie werden dieErstaufnahmestaaten an den Außengrenzen entlastet?

Erstaufnahmestaaten sollen einen Teil der anerkannten Asylbewerber oder Migranten, die gute Chancen auf Asyl haben, in andere EU-Mitgliedsländer abgeben können. Zwischen den Mitgliedsstaaten soll eine "verpflichtende Solidarität" herrschen. Staaten wie Ungarn, die keine Menschen aufnehmen wollen, sollen zumindest einen Ausgleich zahlen oder Ausrüstung und Personal in die Erstaufnahmestaaten schicken. Als Summefür diesen Ausgleich wurden 20.000 Euro pro nicht aufgenommenem Migranten genannt. Gesetzlich festgelegt ist dieses Ausgleichssystem aber nicht, sondern muss von den Mitgliedsstaaten vonFall zu Fallausgehandelt werden. Fühlt sich ein Land überlastet, kann es viele der Regeln lockern und mehr Solidarität einfordern. Wann dieser "Krisenfall" eintritt, entscheidenalle 27 Staaten gemeinsam. Viel Raum also für politischen Streit.

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Wie sollen die bisherigen Zielländerentlastet werden?

Viele Asylsuchende zieht es bislangaus Griechenland oder Italien direktnach Deutschland, Österreich, Frankreich, die Niederlande oder Belgien. Das gilt auch für abgelehnte Asylbewerber. Der Erstaufnahmestaat (z.B. Italien) wäre eigentlich verpflichtet, dieseMigranten wieder zurückzunehmen. In der Praxis geschieht das aber nicht. Der neue Migrationspakt überarbeitet jetzt noch einmal die Regeln. Anreize zur Binnenmigration, sogenannte Pull-Faktoren, sollen durch EU-weit einheitliche Leistungen und Aufnahmebedingungen abgeschwächt werden.

Werden Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern einfacher?

Der Pakt sieht vor, Menschen künftig schneller in als sicher deklarierte Herkunfts- oder auch Transitländerabzuschieben. Dazu strebt die Europäische Union mehr Abkommen mit Drittstaaten an, damit diese abgelehnte Migranten wieder aufnehmen. Als Beispiel wird hier oft das jüngste Abkommen mit Tunesien genannt. Gegen Wirtschaftshilfe hat sich Tunesien bereit erklärt, eigene Staatsangehörige wieder aufzunehmen. Menschen aus Afrika südlich der Sahara, die über Tunesien in die EU gewandert sind, will die tunesische Regierung hingegen nicht wieder ins Land lassen. Ein Abkommen mit der Türkei aus dem Jahr 2016 hatte dazu geführt, dass vier Jahre langweniger syrische Flüchtlinge in Griechenland ankamen. Inzwischen greift dieses Abkommen aber nicht mehr, weil die Türkei keine Syrer mehr aus Griechenland zurücknimmt.

Wie sollen mehrfache Asylanträge verhindert werden?

Die Grenzschützer der EU sollen alle Einreisenden künftig lückenlos erfassen und ihre biometrischen Daten in einer erweiterten Datei speichern, die von allen Behörden in Europa genutzt werden kann. So soll festgestellt werden, ob ein Migrant, der in Griechenland abgelehnt wurde, zum Beispiel in Österreich erneut einen Asylantrag stellt oder durch mehrere andere Länder reist. Dieser Asylsuchende würde dann leichter in das Land der Ersteinreise und schließlich in sein Herkunftsland abgeschoben werden können. Den Versuch, eine verpflichtende Registrierung vorzuschreiben, hat es seit 2015 schon mehrfach gegeben. Die bisherige Datenbank Eurodac, in der nur Fingerabdrücke hinterlegt waren, hatte erhebliche Lücken und technische Mängel.

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Warum bleibt der Migrationspakt umstritten?

Befürworter des Paktes argumentieren, dass verschärfte Regeln und Verfahren, die zu schnelleren Abschiebungen führen, auf Dauer abschreckend wirken. Weniger Menschen würden sich auf den Weg machen, weil die Chancen, auch mit einem abgelehnten Asylantrag oder ohne ordentliches Verfahren in Europa bleiben zu können, geringer würden. Kritiker des Paktes bemängeln, dass das Asylrecht in der EU ausgehöhlt würde und wirklich Schutzbedürftige künftig abgewiesen würden. Das Sterben auf der Flucht über das Mittelmeer würde weitergehen..

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Wie geht es jetzt weiter?

Der Rat der Europäischen Union, also die Vertretung der 27 Mitgliedsstaaten, muss Ende April noch einmal zustimmen, was als Formsache gilt. Wenn die verschiedenen Gesetze und Verordnungen des Migrationspaktes dann Rechtskraft erlangen, wird es vor allem darauf ankommen, ob und wie die Mitgliedsstaaten ihren neuen Verpflichtungen nachkommen. Wird Italien funktionierende geschlossene Grenzlager einrichten? Werden sich die nördlichen und östlichen Mitgliedsstaaten wirklich solidarisch zeigen und Migranten aufnehmen oder zumindest finanzieren? Die Umsetzung der neuen Regeln wird bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen. Es wird sich also erst in einigen Jahren zeigen, ob die Zahl der Asylsuchenden tatsächlich zurückgeht.

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